Im und um das Haus Deutscher Stiftungen in der Berliner Mauerstraße hat immer schon die Geschichte getobt – und irgendwann in einer Kellerecke einen verschlossenen Tresor hinterlassen. Sitzen wir seit Jahren auf einem verborgenen Schatz? Zeit, es herauszufinden
Von Theo Starck

(Foto: BASF-Archiv)
J. Fr. Anders: Mit diesem Namen beginnt die Geschichte des Hauses an der Mauerstraße. Das Gebäude ließ der gelernte Kaufmann 1905 erbauen und führte darin über zehn Jahre lang eine Möbelhandlung. Besonders aufwendig gestaltete Anders die Beletage, die mit ihrem repräsentativen Erker aus Kupfer als Ausstellungsraum für seine Möbel verwendet wurde. Schon zuvor war er in diesem Bereich tätig: Im Berliner Adressbuch von 1895 steht geschrieben, was die Anders’sche Möbelhandlung damals verkaufte: Neben „Kontormöbeln“ hatte er vor allem „gebrauchte Geldschränke“ im Sortiment.
Es ist der 25. Juni 2018, ein selbst für diesen Sommer unverhältnismäßig heißer Tag. Angenehm kühl ist es nur im Kellergewölbe des Hauses. Hier liegt auch unser Schatz. Vielleicht. In einer der hinteren Nischen steht er, der etwa anderthalb Meter hohe, eierschalenweiße und fest verschlossene Tresor – Inhalt unbekannt. Könnte es sein, dass sich der Möbelhändler Anders einen eigenen Geldschrank in den Keller stellte? Dafür sieht der Tresor allerdings doch zu modern aus. Interessanter als die Frage nach dem Eigentümer ist ohnehin die nach dem Inhalt. Was ist drin: brisante Akten? Ein Sack voll Gold vielleicht?
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges verliert sich die Spur des Möbelhändlers Anders und 1920 bekam das Haus einen neuen Besitzer: die De Trey GmbH. Der Schweizer Firmengründer Emil de Trey erfand unter anderem ein neuartiges Füllmaterial für Zähne. Solche und andere Dentalprodukte verkaufte er in ganz Europa, das Haus in Berlin war der deutsche Firmensitz.
Der Tresor muss geöffnet werden, keine Frage. Wir bestellen einen Schlüsseldienst, der sich auf Tresoröffnungen spezialisiert hat. Die erste Frage an den Mechaniker ist naheliegend: Was er denn schon so alles in Tresoren gefunden habe. So einiges: Bargeld, Weltkriegswaffen und tatsächlich auch schon Goldbarren. Das gibt Grund zur Hoffnung. Der erste Versuch, das Ungetüm aus Metall zu öffnen, ist die Eingabe des Werkcodes: 10, 20, 30 lautet dieser, bei fast allen Tresoren. Nichts. Die Tür sitzt bombenfest. Dann also doch mit Gewalt, hier hilft nur noch schweres Gerät.
Das Haus der SED
Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Aufteilung Berlins unter den vier Siegermächten begann eine völlig neue Zeit für das Gebäude. Die Firma De Trey wurde von der neuen DDR-Regierung enteignet, woraufhin De Trey Berlin verließ. Kurz darauf bezog die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) die Räumlichkeiten. Am 16. und 17. Juni 1953 kam es aufgrund von Normerhöhungen für die Arbeiter durch die DDR-Führung zum Volksaufstand – der sich auch gegen das Haus in der Mauerstraße richtete: Feuer wurden angezündet und Scheiben eingeschmissen, bis der Aufstand durch die anrückenden Truppen der Sowjetarmee ein schnelles Ende fand.
1961 begann der Bau der Berliner Mauer – und das nur einen Steinwurf von dem Gebäude entfernt. Damit war das Grundstück nun offiziell Teil des Grenzstreifens. Um den Verkehr an der Grenzanlage besser überwachen zu können, wurde in die östliche Brandschutzmauer ein Fenster eingefügt, das es heute noch gibt. Von hier aus hatte man beste Aussicht auf das, was sich ab dem 22. Oktober 1961 vor dem Haus abspielte. Denn auf einmal war das heutige Haus Deutscher Stiftungen quasi die Kulisse, vor der sich um ein Haar der Kalte Krieg entzündet hätte: Als an diesem Tag der Amerikaner Allan Lightner am Checkpoint Charlie die Grenze überqueren wollte, wurde ihm von den DDR-Grenzern die Einreise verweigert. Dies war der Auslöser für weitere Verstrickungen, die dazu führten, dass sich am 27. Oktober 1961 amerikanische und sowjetische Panzer mit geladenen Kanonen gegenüberstanden – nur wenige Meter voneinander und vom Haus in der Mauerstraße entfernt. Erst durch diplomatische Bemühungen konnte der amerikanischsowjetische „Standoff“ und damit eine Eskalation schließlich abgewendet werden. Aus DDR-Zeiten blieb bis heute vor allem eines erhalten: Schon damals wurde das Haus unter Denkmalschutz gestellt.
Zuerst wird das kleine Zahlenrädchen des Tresors entfernt, mit dem normalerweise der Zugangscode eingegeben wird. Jener Code, der jetzt so einiges erleichtern würde. Doch es hilft nichts, ein Spezialbohrer muss ran. Immer tiefer dreht er sich in die Panzertür hinein. Funken fliegen. Bis irgendwann sogar der Bohrkopf heiß läuft und ausgetauscht werden muss. Dann wird tiefer gebohrt, fast ist es so weit!
Nach der Wende und dem Ende der DDR begann zunächst das Landesverwaltungsamt mit der Renovierung des Gebäudes und der dazugehörigen Kelleranlage, die sich heute noch weit über die Grundrissgrenzen des Hauses erstreckt. Mitte der 1990er erwarb dann die BASF Pensionskasse das Gebäude, die nach einigen Zwischenlösungen 2005 endlich einen langfristigen Mieter fand: den Bundesverband Deutscher Stiftungen. Der immer größer werdenden Organisation waren die vorherigen Räumlichkeiten in Berlin-Wilmersdorf zu klein geworden, der Umzug in das Haus an der ehemaligen Grenze kam also höchst gelegen. Mit dem Einzug des Bundesverbandes bekam das Gebäude auch einen neuen Namen: „Haus Deutscher Stiftungen“. Der Schatz in der Mauerstraße, das ist eigentlich das Haus selbst.
Es ist so weit: Der Tresor gibt nach, er ist seinem Ende nah. Und dann, ganz plötzlich, lässt sich die Tür öffnen. Auf der Innenseite der Tresortür gibt eine Plakette Auskunft über das Baujahr: 1998. Kein Stasi-Schrank also. Über drei Tresorfächer verteilt liegt dann das, wofür der ganze Aufwand betrieben wurde: ein leerer Aktenordner, drei Zugangskarten mit Magnetstreifen sowie ein ungenehmigter Urlaubsantrag für vier Tage, vom 5.10.1998 bis 8.10.1998, beantragt von Herrn G. Resturlaub: 20 Tage.
Dieser Text erschien erstmals im Magazin Stiftungswelt.