Im „Onion Space“ arbeiten Hacker, Internet-Aktivisten und digitale Pioniere. Zu Besuch in einer Bürogemeinschaft, in der digitale Zukunft geschrieben wird.
Text und Foto von Theo Starck

Auf den ersten Blick wirkt der großzügige Hinterhof mitten im Berliner Stadtbezirk Wedding nicht sonderlich digital: Hier ein Café mit angeschlossener Kantine, dort eine Schreinerei, irgendwo im hinteren Teil eine Siebdruckwerkstatt. Erst als Fiona die schwere Eingangstür zum Onion Space mit ihrem Smartphone öffnet, ahnt man, dass zumindest in diesem Teil des Hofes keine gewöhnliche Bürogemeinschaft arbeitet.
Fiona, breites Lächeln, Nasenring, ist eine von zehn Leuten, die derzeit im selbstverwalteten Onion Space arbeiten. Angestellt ist sie bei der Open Knowledge Foundation. Vor drei Jahren hat sie das Projekt „Prototype Fund“ mit ins Leben gerufen: In acht Förderrunden werden bis zu 47.500 Euro für Initiativen zur Verfügung gestellt, die ein OpenSourceProjekt umsetzen wollen. Der Clou: Potenzielle Antragsteller werden vom Prototype Fund nicht nur aktiv angeworben, sondern Fiona und ihr Team stehen ihnen sowohl während der Bewerbungsphase als auch während der Projektverwirklichung unterstützend zur Seite. „Ich glaube, dass die Art, wie Gelder vergeben werden, per se viele Leute ausschließt. Deshalb haben wir versucht, die Antragstellung deutlich herunterzukürzen und zu vereinfachen“, meint Fiona. Das ist vor allem bei Projekten wichtig, die nur schwer zu vermitteln sind, weil sie eine komplexe und für Laien kaum verständliche InfrastrukturTechnologie entwickeln, die aber einen wichtigen Beitrag zum OpenSourceÖkosystem leistet.
Kontakte zur Hacker-Community
Um die neuesten und innovativsten Ideen der Szene aufspüren zu können, pflegt das Team viele Kontakte zur HackerCommunity, über den Chaos Computer Club etwa, oder auch zu Projekten wie „Heart of Code“, eine HackerinnenGemeinschaft nur für Frauen. Wichtigste Voraussetzung für die Förderung: Am Ende muss unter jedem Projekt eine OpenSourceLizenz stehen. Um dieses Ziel zu erreichen, unterstützt der Prototype Fund die Entwickler nicht nur finanziell, sondern auch durch Coachings, öffentliche Veranstaltungen und regelmäßige Treffen. „Der Andrang ist wirklich riesig“, erzählt Fiona. „Leider müssen wir immer wieder gute Projekte ablehnen, wir können eben nur eine begrenzte Anzahl fördern.“
Eines der Projekte, die es geschafft haben und das nun bereits zum zweiten Mal vom Prototype Fund gefördert wird, sitzt im Onion Space nur wenige Tische neben dem Prototype Fund: das „Syrian Archive“. Gegründet wurde das Archiv 2014 von dem Syrer Hadi AlKhatib, und auch heute kommen noch immer 70 Prozent des Teams aus Syrien. Mit nur zwei weiteren Mitstreitern hatte AlKhatib auf eigene Faust angefangen, Daten, die für den SyrienKonflikt relevant sind, zu sammeln. Einer davon ist Niko, der mittlerweile vor allem die technischen Abläufe betreut. Mit amerikanischem Akzent erzählt er, wie die Idee zu dem Archiv entstand: „Das Problem war, dass Kriegsverbrechen in Syrien nicht dokumentiert wurden. Hier setzen wir an.“ Schnell merkten sie jedoch, dass ihr Vorhaben zu groß, zu zeitintensiv war. Um es fortführen zu können, musste externe Unterstützung her. Deshalb bewarben sie sich beim Prototype Fund – und setzten sich am Ende gegen 500 andere Projekte durch.
Durch diese Starthilfe hat sich mittlerweile vor allem die technische Seite des Archivs stark professionalisiert: Blockchain für Zeitmarkierungen, Webcrawler für die Datensuche und die OpenSourceSoftware VFRAME (Visual Forensics and Metadata Extraction) für die leichtere Auswertung der Daten – auch das ein Projekt des PrototypeFund. Solche Technologien sind nicht nur hilfreiche, sondern mittlerweile auch unumgängliche Instrumente für die digitalen Archivare. Heute werden jeden Tag etwa 600 Videos und um die 1.000 Bilder, Dokumente und Tweets aus verschiedensten Quellen in das Archiv eingespeist. Zudem gibt es diverse Kooperationen mit kleineren Archiven in Syrien, die auf die Infrastruktur des Syrian Archive zugreifen können. Die Hoffnung ist, dass die Daten irgendwann einmal als Beweismaterial verwendet werden, um Kriegsverbrechen im SyrienKonflikt aufklären zu können: „Wir arbeiten schon jetzt sehr eng mit Juristen zusammen, um die Daten nach deren Maßstäben aufzuarbeiten.“ Erste Erfolge gibt es bereits: Mithilfe der Daten konnten Journalisten etwa Beweise für den Einsatz von Chemiewaffen finden.
„A space to get things done”
Der Prototype Fund und das Syrian Archive sind zwei von vier Projekten, die im Onion Space (benannt nach dem TorNetzwerk, bei dem sich nach dem Schichtprinzip der Zwiebel Verbindungsdaten anonymisieren lassen) ihre produktive Heimat gefunden haben. Zur Verfügung gestellt werden die Räume von der Stiftung Erneuerbare Freiheit, die sich den Schutz individueller und kollektiver Freiheitsrechte, „insbesondere im digitalen Raum“, auf die Fahnen geschrieben hat. Eine solche digitale Bürogemeinschaft hat einige Vorteile: Man hilft sich, auch über Projektgrenzen hinaus, etwa wenn es um QuellcodeFragen geht. Auch für Events wie Hackathons, UserTestings, Workshops oder einfach Partys werden die Räumlichkeiten genutzt. Vor allem anderen versteht sich der Onion Space allerdings als Ort des produktiven Arbeitens. Im internen Wiki heißt es: „This is less a hackeror makerspace to hang out, but more a space to get things done.“ HackerSpaces mit eigener Community gibt es viele; woran es in dieser Szene mangelt, sind Plätze zum ruhigen und konzentrierten Arbeiten.
Bevor wir den Onion Space und den Weddinger Hinterhof verlassen, will Fiona unbedingt noch etwas loswerden: „Ich habe mittlerweile Hunderte von Entwicklern betreut. Es gibt in Deutschland so viele Menschen, die einfach Bock haben, mit Technologien etwas Gutes zu entwickeln. Woran es mangelt, sind Geld und konkrete Unterstützung für die Leute. Deshalb ist es so wichtig, noch viel mehr in digitale Ehrenämter zu investieren. Das ist in der Förderlandschaft leider noch nicht richtig angekommen.“ Was für ein Glück, wenn die zivilgesellschaftliche Initiative selbst längst existiert – und alles, was zur Unterstützung notwendig ist, eine gute Internetverbindung, ausreichend Hardware und ein Raum mit Tischen und Stühlen ist.
Dieser Text erschien erstmals im Magazin Stiftungswelt